St.Gallische Spitalpolitik - Grundlagen für eine angemessene politische Diskussion

7.6.2018     Max Lemmenmeier, SP-Präsident St.Gallen

Kein Abbau im Service Public – Für gute Spitäler in starken Regionen

Der Kanton St.Gallen setzte mit Quadriga I und II auf eine regional verankerte stationäre Gesundheitsversorgung mit einer bedarfsgerechten und laufend angepassten Zahl von Akutbetten. Die st.gallischen Stimmberechtigten bestätigten diese Strategie im November 2014 mit ausserordentlichen klaren Zustimmungen zur Erneuerung der Spitalinfrastruktur an den Standorten St.Gallen, Altstätten, Grabs, Wattwil und Uznach. Das grosse Vertrauen der Bevölkerung zeigt sich auch darin, dass über 70% der PatientInnen im Kanton St.Gallen wohnhaft sind. Das Vertrauen ist auch berechtigt: Die vier Spitalversorgungsregionen erbringen die Leistungen in einer hohen Qualität und zudem kostengünstig.

Die neue Spitalfinanzierung brachte bisherige Vorstellungen ins Wanken und ist bis heute vor allem in der bürgerlichen Politik noch nicht präsent: Der Kanton muss 55% an die Kosten der Hospitalisation aller st.gallischen PatientInnen in den Spitälern tragen. Im Staatshaushalt gespart werden kann also nur, wenn weniger Leistungen im stationären Bereich erbracht werden. Es ist absehbar, dass sich die Kantone auch an den ambulant erbrachten Leistungen beteiligen müssen. Der Kampf gegen die Kosten-steigerungen im Gesundheitswesen muss sich also gegen die stete Ausweitung des Leistungsangebotes und der Leistungsmenge konzentrieren.

Als Folge der im Kanton St.Gallen geltenden tiefen Tarife im stationären (DRG, Base-Rate) und ambulanten (TARMED) Bereich sowie Eingriffen des Bundesrats stehen die öffentlichen Spitäler im Kanton St.Gallen unter Druck. In den vergangenen Jahren traf die st.gallische Politik zudem weitere Entscheide, die die bereits nicht einfache Situation verschärften:

  • Die Immobilien wurden den Spitälern übergeben. Statt Nutzungsentschädigungen müssen sie jetzt Darlehen aufnehmen und diese verzinsen und zurückzahlen. Damit tragen sie alleine die finanziellen Folgen des politisch motivierten 15jährigen Baumoratoriums, das zu einem massiven Investitionsstau führte.
  • Die Umsetzung der Bauvorhaben, die auch öffentliche Aufgaben wie GOPS (Operationsstellen in Gefahrenlagen) und werterhaltende Massnahmen enthalten, ist in der Verantwortung der Spitalregionen und muss vollständig durch diese getragen werden.
  • Ohne Reserven stehen die Spitalregionen vor der Situation, dass sie die Ausstattung der Gebäude und den Unterhalt finanzieren sowie die laufend anstehenden Erneuerungen bestehender Gebäude vorfinanzieren müssen.
  • Die angemessene Entschädigung für gemeinwirtschaftliche Leistungen wie Rettungsdienst, Ausbildungsauftrag usw. wird durch den Kantonsrat verweigert.

In dieser Situation beschloss der Kantonsrat gegen den erklärten Willen der SP, dass das zuständige Mitglied der Regierung aus dem Verwaltungsrat der Spitalverbunde verbannt wird. Der Hauptzahler Kanton St.Gallen verzichtet damit beim zweitgrössten Ausgabenposten der Staatsbeiträge auf den direkten Einfluss.

Neben der betriebswirtschaftlichen Sicht ist heute auch eine volkswirtschaftliche Be-trachtungsweise zwingend. Da der Verwaltungsrat sich ausschliesslich um die Ver-besserung der Zahlen kümmert, liegt es an der Regierung und dem Kantonsrat, dass angesichts der neuen, veränderten Finanzierung die volkswirtschaftlichen Aspekte eingebracht werden. Die Steuergelder müssen mit einem qualitativ hochstehenden Angebot der öffentlichen Spitäler im Kanton bleiben. Dieses Angebot ist in allen Regionen ein gewichtiger Standortvorteil und sichert mit attraktiven Arbeitsplätzen, dass die Wertschöpfung im Kanton St.Gallen bleibt.

Die regional verankerte stationäre Gesundheitsversorgung ist ein wichtiger Teil des Service Public und verhindert eine regionale Zweiklassenmedizin. Das Gesundheitswesen muss für alle, unabhängig von Alter, Einkommen, Krankheit oder Nationalität, zugänglich sein. 

Die SP des Kantons St.Gallen fordert deshalb:

1. Regionale Verankerung der Spitäler: Ausbau ohne Verzögerung umsetzen

Die von den Stimmberechtigten des Kantons St.Gallen beschlossene Erneuerung der Spitäler in St.Gallen, Altstätten, Grabs, Wattwil und Uznach ist vollständig umzusetzen.

2. Bewährte Struktur der Versorgungsregion beibehalten

Die aktuellen betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zeigen sich vor allem am Zentrumsspital St.Gallen in aller Schärfe. Mit der Struktur der vier Versorgungs-regionen wird sichergestellt, dass nicht die Regionen die Lasten des Zentrumspitals tragen müssen. 

3. Kostenentwicklung gezielt beeinflussen

Mit der Optimierung der bereits umgesetzten Konzentration von Leistungen, der Nutzung der Synergien und der Steuerung vor Ort durch die Spitalregionen kann die Kostenentwicklung beeinflusst werden. Daneben ist auf den Ausbau des Angebotes des Zentrumspitals in spezialisierten Bereichen wie Herzchirurgie zu verzichten und die Ausrüstung der Spitäler im medizinisch-technischen Bereich bewusst zu steuern.

4. Gemeinwirtschaftliche Leistungen der Spitalregionen sind abzugelten

Die Spitalregionen erbringen – im Gegensatz zu den privaten Anbietern – Dienst-leistungen für die Bevölkerung, sogenannte gemeinwirtschaftliche Leistungen. Diese Leistungen sind durch den Kanton zu beziffern und zu finanzieren. 

5. Keine Abschöpfung zulasten der Spitalverbünde

Seit einigen Jahren werden den Spitalverbunden Gewinnvorgaben gemacht und Gewinn, die eigentlich für die mittelfristige Sicherung des Betriebes notwendig wären, abgeschöpft. Auch bei der Verzinsung verlangt der Darlehensgeber Kanton mehr als seine Gestehungskosten sind. Dies muss unterbunden werden, denn die Spitalverbunde leiden schon genug unter den Folgen des langjährigen Investiti-onsmoratoriums.

6. Kein Stillstand im Gesundheitswesen

Mit der Konzentration der politischen Diskussion auf die öffentlichen Spitäler geht vergessen, dass gerade auch vor dem Hintergrund der Steuerung der Kosten-entwicklung die Verknüpfung der stationären Gesundheitsversorgung mit dem Übergang mit Spitex-Leistungen, der palliativen Pflege und der Alterspflege weiter vorangetrieben werden muss. Stillstand bedeutet Rückschritt und später zusätzliche Kosten.

7. Keine Sanierung auf Kosten des Personals

Personalkosten sind zwar die grösste Ausgabenposition, aber sie prägen die Qualität der Leistungen der öffentlichen Spitäler. Die teilweise erkämpften Anstel-lungsbedingungen und die hohe Zahl an Ausbildungsplätzen stehen nicht zur Dis-position der betriebswirtschaftlichen Sicht des Verwaltungsrates und dessen Be-ratungsfirmen. Hingegen sind die höchsten Kaderlöhne zu überprüfen.


Grundlagen für die Zukunft aller St.Galler Spitäler

Laura Bucher, SP-Kantonsrätin St.Margrethen und Bettina Surber, SP-Kantonsrätin St.Gallen 

SP und Grüne im St.Galler Kantonsrat verlangen eine angemessene Auseinandersetzung der St.Gallischen PolitikerInnen mit dem Antrag des Verwaltungsrats der Spitalverbunde. Sie begrüssen die Einsetzung eines Lenkungsausschusses, der aus Mitgliedern des VR und der Regierung zusammengesetzt ist. SP und Grüne erwarten von der Regierung in den nächsten Wochen die raschest mögliche Klärung der vielen offenen Punkte. Die Regierung wird neben der ausschliesslich betriebswirtschaftlichen und unternehmerischen Sicht des Verwaltungsrates der Spitalverbunde weitere, für die gesamte Bevölkerung wichtige Aspekte in die Beurteilung des Grobkonzeptes einfliessen lassen. Aus Sicht Fraktion SP-Grüne sind mindestens folgende Überlegungen in die Beurteilung einzubeziehen:

Grundsätzliche Überlegungen 

  • Auflistung der gesundheitspolitischen Herausforderungen und Tendenzen auf nationaler Ebene
  • Gesundheitspolitische Herausforderungen auf Kantonsebene sowie mögliche Handlungsfelder
  • Zahlen der letzten vier Jahre zu Anzahl Betten / Bettenbelegung / Anzahl stationäre PatientInnen / Aufenthaltsdauer / ambulante Erträge differenziert nach den vier Spitalversorgungsregionen
  • Entwicklung der Versichertenstruktur Allgemein- und Zusatzversicherte (allgemein sowie abgerechnete)
  • Abschlüsse der letzten vier Jahre sowie Planwerte bis 2023 differenziert nach den vier Spitalversorgungsregionen
  • Positionierung des Kantonsspitals St.Gallen (Stellungnahme zu den Forderungen nach Ausbau zum Universitätsspital, mögliche Folgekosten für Kanton und Krankenkassenprämien, …)
  • Auswirkungen des Fachkräftemangels im Gesundbereich 

Überlegungen zum Grobkonzept

  • Auswirkungen des Grobkonzeptes auf die Staatsbeiträge (Innerkantonale / Ausserkantonale Hospitalisationen)
  • Volkswirtschaftliche Folgen für die betroffenen Regionen
  • Auswirkungen auf die gesamten Gesundheitskosten und damit auf die Krankenkassenprämien
  • Veränderungen der PatientInnen-Ströme inkl. Auswirkungen auf die Folgekosten für den Staat (Mehrkosten im Zentrumsspital) und notwendige Neu- resp. Ausbau an den vier Standorten der stationären Gesundheitsversorgung
  • Desinvestitionen in Altstätten, Flawil, Rorschach, Walenstadt und Wattwil – zusätzliche Investitionen in Grabs, St.Gallen und Wil
  • Realistische neue Angebote an den aufgehobenen Spitalstandorten, die angesichts der Immobilien betriebswirtschaftlich und gesundheitspolitisch überhaupt Sinn machen

SP und Grüne interessieren sich des Weiteren sehr für den Zeitplan, den die Regierung sich für diese Aufgabe nimmt. Und sie interessieren sich für die Einschätzung der Regierung zur Fachkompetenz des Verwaltungsrates, Grundsatzentscheide zur stationären Gesundheitsversorgung im Kanton St.Gallen nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht sondern auf einer breiten Beurteilungsbasis vorzubereiten?


Versagen des Verwaltungsrats der Spitalverbunde 

Peter Hartmann, Kantonsrat SP-Flawil, Fraktionspräsident SP-Grüne

Der Auftrag des Verwaltungsrates der Spitalverbunde ist nach den Beschlüssen einer Mehrheit des Kantonsrates aus SVP, FDP und CVP klar: Er hat die Eigentümerstrategie der Regierung umzusetzen und soll betriebswirtschaftlich denken. Dies kommt im u.a. von PWC erarbeiteten Grobkonzept zum Ausdruck: Es wurde mit einem betriebswirtschaftlichen Tunnelblick vorbereitet und geschrieben.

Zum Vorgehen des Verwaltungsrates gibt es mindestens drei Kritikpunkte:

Die st.gallische Gesundheitsversorgung steht in einem Kontext zu regionalpolitischen, volkswirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Überlegungen. Sie ist ausserdem eingebettet in Finanzierungsmodalitäten mit Auswirkungen auf den kantonalen Staatshaushalt. Sie basiert zudem auf demokratischen Beschlüssen des Kantonsrates und der Stimmberechtigten. Grundlegende Strategieänderungen durch den Verwaltungsrat können deshalb nicht ohne Bodenhaftung und in einer abgehobenen “Blase“ mit einem Grobkonzept eingeleitet werden.

Gemäss eigenen Aussagen des Verwaltungsrates startete er nach schlechten Halbjahreszahlen 2017 das Projekt, das zum “Grobkonzept“ mit den vorliegenden Vorschlägen führte. In dieser kurzen Zeit bis zur Beschlussfassung kann nur ein Arbeitspapier mit sehr beschränktem Wert entstehen. Der VR hat in einer sicher unangenehmen Situation panikartig reagiert und die Übersicht verloren.

Der Verwaltungsrat trägt eine Verantwortung für die von der Bevölkerung beschlossenen Spitalstandorte und damit für alle Mitarbeitenden. Mit seinem Vorpreschen stösst er die fünf Spitäler Altstätten, Flawil, Rorschach, Walenstadt und Wattwil in eine gefährliche Phase von grosser Unsicherheit. Dazu gibt es im Gesundheitswesen und in der Wirtschaft verschiedene Beispiele: Von der Schliessung bedrohte Institutionen geraten unter Druck und eine Abwärtsspirale startet umgehend. Wer einen anderen Arbeitsplatz findet, wechselt; auf dem Arbeitsmarkt verlieren die Spitäler massiv an Attraktivität; zuweisende ÄrztInnen suchen Alternativen; Patientinnen und Patienten hinterfragen die Qualität des Angebotes. In der Folge stimmen auch die betriebswirtschaftlichen Zahlen nicht mehr. Wir gehen davon aus, dass der Verwaltungsrat nicht bewusst vorgegangen ist. Aber der Verwaltungsrat hat seine Verantwortung für die fünf betroffenen Spitäler nicht wahrgenommen. Das ist fahrlässig!

Als Verantwortliche für die wichtigste öffentlich-rechtliche selbständige Anstalt im Kanton St.Gallen braucht der Verwaltungsrat der Spitalverbunde bei seinen Überlegungen “Bodenhaftung“ sowie überlegtes, nachvollziehbares Handeln. Wir stellen fest, dass dies in der aktuellen Situation nicht gegeben war. Die Fraktion SP-Grüne erwartet umgehend Korrekturen im Wirken des Verwaltungsrates der Spitalverbunde.